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Rezension: Menière desaster von Sylvia B.

Sylvia B. berichtet in diesem Text von ihrer beinahe zwei Jahrzehnte andauernden Menière-Erkrankung. Bevor ich das Buch zur Hand nahm, wusste ich nichts von dieser Krankheit. Ich entnahm den Begriffserklärungen auf den letzten beiden Seiten, dass der französische Arzt Prosper Menière vor 150 Jahren erstmals davon ausging, dass Symptome wie Schwindel, Hörverlust und Tinnitus im Zusammenhang stehen und möglicherweise durch eine Erkrankung des Innenohrs ausgelöst werden. Vincent van Gogh litt an dieser Krankheit, die man wohl nur dadurch in den Griff bekommt, dass man das Gleichgewichtsorgan mit Gentamicin ausschaltet.

Die Autorin schreibt in einer eigenwilligen Mischung aus Lyrik und Prosa, ohne Punkt und Komma, die dem Text eine gewisse Unwirklichkeit verleiht, die mich sehr beeindruckt hat, von ihrer Kindheit, in der sie viel preußischen Drill erfuhr und gelernt hat, sich in allen Lebenslagen zu disziplinieren. Sie schreibt:



"mein umfeld war begeistert
und honorierte die dressurakte
entsprechend
es wurde ganz arbeit geleistet
und das ließ man sich auch etwas kosten"


Sie fragt sich allerdings, nach allem, was ihr in ihrem späteren Leben wiederfuhr:


"was hat der drill gebracht
außer
dass ich mich in der gesellschaft
bewegen kann
dass ich egal was um mich geschieht
immer haltung bewahre"


Diese Sätze halte ich für zentral in ihrem Bericht, denn ich denke, dass ihrer körperlichen Erkrankung mit all dem Leid und dem Schmerz, die damit verbunden waren, ein unerträgliches Maß an seelischer Verletzung vorausging. Das schöne, intelligente Mädchen, in das große Erwartungshaltungen gesetzt wurden, wird viel zu früh schwanger von dem Mann, den sie als ihre große Liebe bezeichnet. Endlich glaubt sie um ihrer selbst Willen geliebt zu werden. Doch genau dieser Mann verlässt sie, weil er noch nicht reif genug war, Verantwortung zu tragen. Sylvia geht noch schwanger eine "sachliche romanze" ein, denn sie glaubt einen Versorger für ihr Kind zu benötigen und heiratet den "notnagel für ihre beziehungskiste", der zu ihren Strukturen passt, wie sie schreibt.


Nun, da alles in trockenen Tüchern ist, richtet sie mit ihrem Gatten ihr gemeinsames Leben ein. Sie bringt eine weitere Tochter zur Welt, reibt sich in ihrer Beziehung immer mehr auf, um ihren Fehltritt auf diese Weise ungeschehen zu machen und zu zeigen, dass sie eine besonders tüchtige Gefährtin ist. Sylvia wird krank. Schon lange hat sie bemerkt, dass mit ihrem Gatten, der in seinem Beruf sehr erfolgreich ist, etwas nicht stimmt. Sie ahnt nicht, dass er schwer drogenabhängig ist, will es vielleicht auch nicht wirklich wissen, weil ihre Idylle dadurch zu zerbrechen droht.


Plötzlich beginnen die Schwindelanfälle, sie übergibt sich pausenlos. Ihr Kopf dröhnt. Ihre Hölle beginnt. Sie leidet an der Gefühlskälte ihres Gatten, leidet an ihrem Leben. Ihre vermeintliche Ohnmacht sucht sich einen Ausweg, indem ihr kluger Körper ihr zeigt, dass sie aus dem Gleichgewicht geraten ist. Sie will es nicht wahrhaben, auch die Ärzte begreifen zunächst nicht, was ihr Körper produziert hat. Sie halten sie für eine Simulantin. Aber Sylvia simuliert nicht..........


Sylvias Angstdepression hat sich einen Ausweg gesucht. Sie straft sich durch ihr Menière Desaster dafür ab, dass sie sich nicht wagte frühzeitig all dem Horror, der das Ergebnis der Erwartungshaltungen ihrer Mutter waren, ein Ende zu setzen.


Ein eindringlicher Text, der sehr nachdenklich stimmt.


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